Praxis in Baden-Württemberg

eine Hebamme packt ihre Tasche

Die Gesundheitskarte: Aus nach langem Hin und Her

Während der ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts erhalten Asylbewerber_innen  eine Basisversorgung. Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Werdenden Müttern und Wöchnerinnen werden ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel gewährt. Zudem können sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Nach Ablauf von 15 Monaten erhalten Asylbewerber Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung mit Gesundheitskarte.

Nachdem die rot-grüne Landesregierung Baden-Württembergs die Gesundheitskarte für Geflüchtete favorisiert und bereits Eckpunkte für die Einführung festgelegt hatte,  hat „schwarz-grün“ der eGK eine Absage erteilt. Angesichts der rückläufigen Zahlen Geflüchteter lohne es den Verwaltungsaufwand für eine Einführung nicht mehr, ließ das Staatsministerium mitteilen (vgl. SWR-Beitrag vom 25.05.2016).

Stimmen aus der Praxis zum Thema: Aus für die Gesundheitskarte

Hebammen für Geflüchtete: 2015 war die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in Baden-Württemberg im Gespräch, mittlerweile fiel die Entscheidung gegen sie. Können Sie nachvollziehen, warum das so ist? Ist das für Ihre Arbeit bzw. Ihre Abrechnung relevant?

Almut Theisen, Hebamme: Nein, ich kann nicht nachvollziehen, dass die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte gescheitert ist, denn sie wäre mit einer deutlichen Verbesserung der Gesundheitsversorgung einhergegangen, selbst die Ärztekammer hatte sich positiv geäußert. Ohne die elektronische Gesundheitskarte bestehen immer noch bürokratische Hürden, die genommen werden müssen. In der Unterkunft in Rohr kommt das Sozialamt alle drei Monate in die Einrichtung, um die notwendigen Papiere zu verteilen. Das muss jedesmal angekündigt werden, die Menschen bilden Warteschlangen, das ist eigentlich unnötig. Das Sozialamt weiß mittlerweile, dass das Recht auf Hebammenhilfe besteht, und dass die Kosten übernommen werden müssen, das geschieht in aller Regel auch.

Allerdings habe ich in einem Fall die Hilfe des Rechtsanwalts des Deutschen Hebammenverbands in Anspruch genommen, um an mein Geld zu kommen. Das kann übrigens jede Hebamme, die Mitglied im DHV ist, in so einem Fall tun, und das ist kostenlos für sie.

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Beantragen der Kostenübernahme von Hebammenleistungen

Ob mit oder ohne Gesundheitskarte: Die Abrechnung von Hebammenhilfe in Baden-Württemberg gestaltet sich recht unproblematisch. Das rührt zu einen daher, dass die Sozialbetreuung vor Ort, die zur jeweiligen Verwaltung gehören, sich bereits um die Kontaktaufnahme zu einer Hebamme bemühen. So ist lediglich das Stellen einer Rechnung nach Abschluss ihrer Tätigkeit vonnöten, die die üblichen Nachweise über die Behandlung enthält.

Stimmen aus der Praxis:

„Im AWO-Flüchtlingsheim (in Stuttgart-Rohr – Anm. der Redaktion) gibt es Sozialarbeiter als kompetente Ansprechpartner. Sie haben feste Bürozeiten und sind dann für alle erreichbar, zumal sie auch verschiedene Sprachen sprechen. Wir haben einen guten Kontakt zueinander.“ (Almut Theisen, Hebamme)

„Die Abrechnung ist unproblematisch. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozialamt wissen – zumindest in Stuttgart – mittlerweile, dass die Frauen ein Anrecht auf alle Hebammenleistungen – auch Kurse und Stillberatung nach zwölf Wochen – haben.“  (Almut Theisen, Hebamme)

Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Almut Theisen aus dem Jahr 2015

Auch ansonsten reicht in aller Regel das Einreichen der Rechnung nach dem Ende der Betreuung aus. Ein förmlicher Antrag oder Bewilligungsbescheid zur Aufnahme der Hebammenarbeit ist nicht erforderlich. Wenn die Hebamme sicherstellen will, dass die geflüchtete Frau beim Kostenträger gemeldet und leistungsberechtigt ist, empfiehlt sich eine kurze Kontaktaufnahme mit der Behörde. Auf der Website des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg finden Sie online eine Übersicht der Behörden und sonstigen in der Flüchtlingsarbeit aktiven Institutionen Baden-Württembergs.

Keine Notunterkünfte mehr – aber Hebammenmangel

Stimmen aus der Praxis:

Hebammen für Geflüchtete: Vor mittlerweile drei Jahren haben wir über Ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit geflüchteten schwangeren Frauen und Müttern gesprochen. Seinerzeit gab es keine Struktur, die es ermöglichte, dass schwangere Frauen mit Hebammen Kontakt aufnehmen konnten. Hat sich daran mittlerweile etwas geändert?

Almut Theisen: Nein, die Strukturen haben sich nicht geändert. Dass ich in der Unterkunft arbeiten kann, ist allgemein bekannt, die Sozialarbeiter und -arbeiterinnen informieren die schwangeren Frauen darüber. Diese erhalten schon in der Erstaufnahme eine Vorsorgeuntersuchung, dort wäre die richtige Stelle, um die Frauen auf das Recht auf Hebammenbetreuung aufmerksam zu machen. Leider erfolgt das nicht. Zwar gibt es mittlerweile durchaus einige Hebammen, die mit geflüchteten Schwangeren arbeiten, aber der Hebammenmangel ist besonders im Zentrum Stuttgarts sehr groß und dort gibt es mehrere Unterkünfte, so dass nicht so viele Hebammen zur Verfügung stehen.

Neben den Schwangeren, die erst kürzlich aus ihrem Heimatland geflohen sind, gibt es nun auch diejenigen, die schon länger in Deutschland leben und hier bereits mehrere Kinder auf die Welt gebracht haben und ihre Ansprechpartner kennen.

(Almut Theisen, Hebamme)

Lesen Sie hier das Interview mit Almut Theisen aus dem Jahr 2018

Erstaufnahmestellen und ihre Regelungen

In Karlsruhe (Landeserstaufnahmestelle) schließen Hebammen Honorarverträge mit dem Regierungspräsidium ab, aufgrund derer sie dann tätig werden. Zwischen Hebamme und Regierungspräsidium bestehen enge Absprachemöglichkeiten: Wenn die Zahl der vorgesehenen Hebammensprechstunden nicht ausreicht, um mit allen Frauen zu sprechen, kann das der Behörde rückgemeldet werden, so dass eine Aufstockung der Sprechzeiten erfolgen kann.

Haben Sie andere Erfahrungen gemacht? Hatten oder haben Sie Schwierigkeiten bei der Abrechnung? Dann melden Sie sich bitte bei uns! Wir sind für Ihre Hinweise dankbar und werden Ihre Informationen einarbeiten!

Dolmetscher oder nicht? Wie funktioniert die Verständigung?

In den meisten Fällen nutzen Hebammen während der Betreuung ihre eigenen fremdsprachlichen Kenntnisse, um sich zumindest ansatzweise zu verständigen. Oft gibt es jemanden im Umfeld, den die schwangere Frau oder junge Mutter als Dolmetscher/-in akzeptieren kann. Mobile Apps, Broschüren in vielen verschiedenen Sprachen, aus dem Internet gezogene Sprachführer usw. sind kreative Mittel der Wahl, um sich zu verständigen. Auf den Seiten „Fragen und Antworten“ haben wir Ihnen Links und entsprechende Materialien zusammengestellt. Dort finden Sie auch die neuesten Broschüren des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) „Guter Start ins Leben – wie Hebammen helfen“ in arabischer, vietnamesischer, französischer, englischer und deutscher Sprache.

Ist dennoch ein Dolmetscher erforderlich, ist die zuständige Behörde bzw. Sozialbetreuung vor Ort die richtige Anlaufstelle. Wenn ein Dolmetscher ihre Betreuung begleitet, ist es wichtig, mit der geflüchteten Schwangeren oder Mutter in Augenkontakt zu bleiben, um Nähe aufrechtzuerhalten und schnell erkennen zu können, ob und wann die Betroffene sich mit der Gesprächskonstellation unwohl fühlt.

Stimmen aus der Praxis:

„Einen Dolmetscher heranzuziehen, versuche ich nur in ganz besonderen Fällen. In manchen Situationen könnte ein Dolmetscher auch das Vertrauensverhältnis zwischen Hebamme und Schwangerer belasten. Etwas anderes ist es natürlich, wenn es um amtliche Dinge geht, wie Anerkennung der Vaterschaft oder Beantragen einer Geburtsurkunde. In dem Fall sorgen Sozialamt oder Jugendamt für einen Dolmetscher, der begleitet und übersetzt.“ (Almut Theisen, Hebamme)

Wenn Sie sich gut vorstellen können, mit geflüchteten Schwangeren, jungen Müttern und ihren Familien in Baden-Württemberg zu arbeiten, möchten wir Sie mit diesem Zitat Ihrer Kollegin weiter dazu ermutigen:

Stimmen aus der Praxis:

„Meinen Kolleginnen, die noch überlegen, ob sie mit geflüchteten schwangeren Frauen und ihren Familien arbeiten möchten, würde ich gerne mitgeben, dass eine Betreuung im Flüchtlingsheim nicht unbedingt einen größeren Zeitaufwand bedeutet als eine andere Betreuung. Sie muss auch nicht ehrenamtlich sein, sie wird bezahlt. Auch sind Sprachbarrieren mit verschiedenen Hilfsmitteln gut zu überwinden. Wichtig ist, sich gut mit den Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen vor Ort zu vernetzen. Der Kontakt mit Menschen aus so vielen Ländern und Kulturen ist in jedem Fall bereichernd.“ (Almut Theisen, Hebamme)

Lesen Sie hier das komplette Interview mit der Stuttgarter Hebamme Almut Theisen aus dem Jahr 2015

Wir haben 2018 noch einmal nachgefragt: Lesen Sie, wie Hebamme Almut Theisen die aktuelle Situation schildert

Malteser-Projekt für den Raum Stuttgart

Mit ihrem Projekt „Schwanger in der Fremde“ unterstützen die Malteser in Stuttgart Frauen in den Unterkünften für Geflüchtete. Das Projekt für geflüchtete schwangere Frauen und ihre Familien entstand im November 2014 in Kooperation mit der Caritas Stuttgart in der Unterkunft Neckarpark (Bad Cannstatt).

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