Praxis in Nordrhein-Westfalen

eine Hebamme packt ihre Tasche

Die Landesregierung NRW hat sich über die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge mit Krankenkassen und Kommunen auf freiwilliger Basis geeinigt. Die Vereinbarung erfasst nur Geflüchtete, die die Erstaufnahmeeinrichtungen und zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes verlassen haben und den Gemeinden zugewiesen wurden. Die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe soll ohne bürokratische Umwege möglich sein. Der Leistungsumfang orientiert sich an den Vorgaben der §§ 4 und 6 AsylblG; nach § 4 Abs. 2 AsylblG ist Hebammenhilfe davon umfasst. Die Kommunen sind jedoch nicht verpflichtet, an dieser Vereinbarung teilzunehmen. Auch die Krankenkassen beteiligen sich auf freiwilliger Basis. Seit Oktober 2015 gibt es eine Vereinbarung, aus der sich ersehen lässt, welche Krankenkasse für welche Kommune zuständig ist. Folgende Krankenkassen haben die Rahmenvereinbarung unterzeichnet:

  • AOK NordWest
  • ​AOK Rheinland/Hamburg
  • Novitas BKK
  • Knappschaft
  • DAK-Gesundheit
  • Techniker Krankenkasse
  • Barmer GEK
  • IKK classic

Als weitere Krankenkassen sind nun noch die KKH Kaufmännische Krankenkasse, die VIACTIV Krankenkasse sowie die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) beigetreten. Bislang war es notwendig, dass Kommunen und Kassen Einzelverträge abschließen. Das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 1.11.2015 (Asylgesetz) verpflichtet die Krankenkassen zur Unterzeichnung. Da die Länder jetzt nicht mehr auf freiwillige Lösungen angewiesen sind, erleichtert die Regelung im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz den Abschluss von neuen Rahmenvereinbarungen.

Das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) hat wichtige Fragen und Antworten zur elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete zusammengestellt.

Hebammen bei der Einführung der Gesundheitskarte vergessen

Bisher haben in NRW, wo es eine Rahmenvereinbarung zwischen Land und Kassen gibt,  laut Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales folgende Kommunen die Chipkarte eingeführt: Alsdorf, Bocholt, Bochum, Bonn, Bornheim, Dülmen, Düsseldorf, Gevelsberg, Gladbeck, Hennef, Herdecke, Köln, Mönchengladbach, Monheim, Mülheim an der Ruhr, Münster, Neukirchen-Vluyn, Recklinghausen (ab. 1.1.2019), Remscheid, Sprockhövel (bis 30.06.2018), St. Augustin, Troisdorf, Wetter.

Aus Sicht des Landesverbandes wird es höchste Zeit, dass alle Kommunen die Gesundheitskarte nun endlich einführen. Das würde für Hebammen, die geflüchtete Frauen betreuen, eine große Erleichterung bedeutet. Dennoch ist die Gesundheitskarte unterm Strich für Hebammen wertlos, solange sie keine Möglichkeit haben, die Karte einzulesen. Das ist bei der Einführung der Gesundheitskarte nicht mitgedacht worden: Alle Versuche des Verbandes, den Hebammen den Zugang zu geben und die Lesegeräte zu finanzieren, sind ins Leere gelaufen.

Beantragung der Kostenübernahme für die Hebammenhilfe

Dort, wo die Gesundheitskarte noch nicht eingeführt ist,  bleibt es dabei, dass die Kostenübernahme für die Hebammenhilfe in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts geflüchteter Frauen bei der örtlich zuständigen Behörde erfolgen muss und somit in den meisten Fällen beim Sozialamt. Die Anforderungen, die von den Behörden an die Kostenübernahme gestellt werden, sind unterschiedlich:

  • Bei manchen Ämtern muss vor Beginn der Behandlung ein (meist formloser) Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden. Dies bedeutet, dass z.B. per Fax mitgeteilt werden soll, dass man die Behandlung der Patientin plant und dafür die Übernahme der Kosten für XX Stunden beantragt. Das Sozialamt bewilligt dann nach Überprüfung der Daten üblicherweise die Kostenübernahme im beantragten Umfang.
  • Bei anderen Ämtern genügt es, dass man vor Beginn der Behandlung das Amt telefonisch über diese informiert. Nach Ende der Behandlung wird dem Sozialamt dann die Abrechnung zugesandt.
  • Andere Ämter fordern für die Kostenübernahme der Behandlung das Vorliegen eines Behandlungsscheines.

Die Aufzählung ist nicht abschließend, sondern nennt nur drei häufig auftretende Beispiele. Es gibt bei den zuständigen Behörden keine einheitliche Regelung für die Kostenübernahme. Daher empfiehlt es sich, darüber vor Beginn der Behandlung telefonisch Informationen einzuholen und sich hinsichtlich der Kostenübernahme abzusichern. Hier finden Sie eine Übersicht zu den Kontaktdaten der Behörden.

Stimmen aus der Praxis:

„Mit der Abrechnung habe ich noch nie Schwierigkeiten gehabt. Natürlich umfasst meine Abrechnung ausschließlich die im Abrechnungskatalog aufgeführte „Hilfe bei Beschwerden“, unter denen geflüchtete Frauen übrigens sehr ausgeprägt leiden. Doch zu meiner Arbeit mit den Frauen gehört auch viel Papierkram und sonstige Unterstützung.“

Kati Köppe (Hebamme)

„Die Abrechnung gestaltet sich in der Praxis schwierig, auch wenn das Recht auf Hebammenhilfe besteht. Es kann sein, dass das Sozialamt immer wieder kontaktiert werden muss, um die Kostenübernahme durchzusetzen. Ich vermute, dass die Sozialämter versuchen, sich aus der Kostenübernahme herauszuziehen und es ist oftmals nötig, seinen Anspruch hartnäckig zu verfolgen.“

Sabine Pabel (Hebamme)

Wichtige Fragen haben wir für Sie hier zusammengestellt:

Wichtige Fragen an die Behörde

  • Ist das Amt örtlich für die Schwangere zuständig?
  • Ist die Schwangere  leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder hat sie stattdessen mittlerweile einen Anspruch auf Krankenhilfe im Rahmen der Sozialhilfe?
  • Ist für die Übernahme der Kosten für die Hebammenhilfe ein Behandlungsschein erforderlich?
  • Muss ansonsten vor Beginn der Behandlung ein Kostenübernahmeantrag gestellt werden? Wenn ja, welche Angaben müssen darin gemacht werden? Gibt es dafür vielleicht einen Vordruck?
  • Reicht es ansonsten aus, wenn nach Beendigung der Behandlung eine Rechnung darüber ausgestellt wird?
  • Gibt es noch andere Anforderungen, die das Amt an die Bewilligung der Kostenübernahme knüpft?

Übernahme von Dolmetscherkosten

Bei einer Behandlung kann es auch sinnvoll sein, Dolmetscher hinzuzuziehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Kosten hierfür übernommen oder Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden, ist abhängig davon, welche Behörde für die schwangere Frau zuständig ist. Erforderlich ist in der Regel eine besondere Begründung. Die Anforderungen, die daran gestellt werden, sind allerdings unterschiedlich. Teilweise kooperieren die Sozialämter auch mit anderen Organisationen (z.B. Caritas) und können auf deren Dolmetscher-Pool zugreifen. Die Landesregierung NRW hat seit  Oktober 2015 eine Online-Plattform freigeschaltet. Auf der Seite www.ich-helfe.nrw können Institutionen, Organisationen und Initiativen für Geflüchtete angeben, welche Hilfe sie gebrauchen können. So kann zum Beispiel darauf aufmerksam gemacht werden, wenn Dolmetscherinnen und Dolmetscher unterschiedlichster, auch seltener Sprachen benötigt werden. Links zu wertvollen Übersetzungshilfen und weitere Tipps für die Arbeit mit Geflüchteten gibt es auch auf den Seiten von pro familia.

Stimmen aus der Praxis:

„Meist wird keine Dolmetscherin hinzugezogen, die Verständigung muss auf andere Art erfolgen. Manchmal kennen die geflüchteten Frauen jemanden aus ihrem Umfeld, der übersetzen kann.“ Sabine Pabel (Hebamme)

„Der Umgang mit den geflüchtete Frauen ist weniger kompliziert als gedacht. Sicher muss eine gewisse Kultursensibilität entwickelt werden, aber die Verständigung funktioniert in der Regel – und die Arbeit ist etwas Besonderes im Alltag. Die Kolleginnen sollten nicht allzu hohe Ansprüche an sich stellen, eher nach dem Motto arbeiten „Was ich tun kann, das tu ich gerade“ und sich nicht überfordern.“ Karin Bieberstein (Hebamme)

Die Lippische Landeszeitung berichtete am 16.01.2016 über die Hebammen der Hebammenpraxis Floh & Co., die in Detmold eine Hebammensprechstunde für geflüchtete Frauen anbieten.

Um dies alles abzuklären, empfiehlt es sich auch hier, sich über die Voraussetzungen bei der zuständigen Behörde telefonisch zu informieren. Ein umfangreiches Adressenverzeichnis behördenunabhängiger Beratungsstellen und Initiativen für Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen finden Sie beim Flüchtlingsrat NRW im Netzheft 2015.