Umgang mit geflüchteten Frauen – Maria Zemp im Interview

Maria Zemp ist Krankenschwester, Heilpraktikerin, Körperpsychotherapeutin, Coach und Fachreferentin für Trauma-Arbeit und Frauengesundheit. Als Referentin leitet sie die Fortbildung des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) „Umgang mit geflüchteten Frauen“ für Hebammen. Lesen Sie dazu unser Interview

Seit 2003 arbeitet Maria Zemp mit medica mondiale e.V. zusammen und ist im Rahmen dieser Kooperation immer wieder in Afghanistan, Liberia und Kurdistan tätig. Die Arbeit mit den Frauen und ihre Erfahrungen vor Ort bilden die Grundlage für ihren traumasensitiven Ansatz für Gesundheitsfachkräfte. Seit 2012 ist Maria Zemp im Auftrag des Deutschen Hebammenverbandes damit befasst, wie eine stress- und traumasensible Haltung im Setting der Hebammen realisiert werden kann. Der Deutsche Hebammenverband bietet am 12. und 13.7.2017 in Köln zum Thema „Umgang mit geflüchteten Frauen“ eine speziell für Hebammen in Kliniken konzipierte Fortbildung mit Maria Zemp als Referentin an.

 

Hebammen für Flüchtlinge: Was brauchen die geflüchteten Frauen, die nach Deutschland kommen?

Maria Zemp: Die Frauen brauchen erstmal Wertschätzung für die Lebensleistungen, die sie bereits erbracht haben. Sie haben in ihrem Heimatland trotz Krieg, Hunger und Gewalt überlebt, sind geflüchtet und haben auch das überlebt. Viele haben dabei sehr belastende Erfahrungen gemacht, vielleicht sogar ihre Kinder verloren oder sexualisierte Gewalt erlebt.

Hebammen für Flüchtlinge: Wenn Hebammen im Kreißsaal mit den geflüchteten Frauen zusammenkommen, wie können sie sich den Frauen nähern?

Maria Zemp: Hebammen sollten fragend an die Frauen herangehen, so wie sie das bei jeder anderen Frau auch tun. Die geflüchteten Frauen sind genauso unterschiedlich. Vieles hängt auch von den Umständen ab: Kennen sie Krankenhäuser, haben sie bereits in einem Kreißsaal geboren?

Hebammen für Flüchtlinge: Viele Hebammen fürchten Sprachbarrieren. Wie kann man damit umgehen?

Maria Zemp: Es gibt viele Hilfsmittel, Bildkarten, Apps, aber auch Sprachmittlerinnen. Doch die Sprache bleibt eine Hürde. Dennoch: Hebammenarbeit ist Handwerk, d.h., Hebammen sind mit ihren Sinnen und dem Körper der Gebärenden im Kontakt, haben ihre Hände und ihre Beobachtungsgabe, auf die sie sich verlassen können.

Hebammen für Flüchtlinge: Kann die Hebamme im Kreißsaal davon ausgehen, dass jede geflüchtete Frau traumatisiert ist?

Maria Zemp: Nein! Es existieren Zahlen, nach denen 85 % der geflüchteten Frauen als traumatisiert gelten.

Wir sprechen von einer sequenziellen Traumatisierung, das bedeutet, dass es mehrere Risikosequenzen gibt, z.B. die Flucht, die Ankunft und der unsichere Status hier, solange sie keinen Aufenthaltstitel haben, oder wenn sie in nicht sicheren Unterkünften wieder dem Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind.

Ein Trauma äußert sich in einer Stressreaktion, auf die Menschen mit hoher Anspannung und Nervosität oder eher mit Rückzug und Passivität reagieren. Die Hebamme muss nicht wissen, ob und welches Trauma die Gebärende erlebt hat, das Trauma an sich ist unter der Geburt nicht wichtig. Sie wird aber wahrnehmen, ob die Frau auffällige Stress-, Angst- und Abwehrreaktionen bei einer vaginalen Untersuchung oder während der Wehen zeigt. Hier muss sie dann stressentlastende Momente in die Begleitung einbringen.

Hebammen erleben in den Fortbildungen „Stress- und Traumasensible Haltung“ oft Aha-Effekte und werden sicherer, wenn sie merken, dass sie in vielen Fällen intuitiv alles richtig gemacht haben. Neue Vorgehensweisen komplementieren das bereits vorhandene Wissen. Durch eine wertschätzende Beziehungsführung und stressreduzierende Maßnahmen kann der Kontakt zur Frau gehalten werden. Je besser das gelingt, umso mehr kann die Frau als Expertin ihres Körpers während des Geburtsvorgangs auf Augenhöhe bleiben, den Verlauf aktiv mitsteuern. Damit kann eine erneute Opfererfahrung oft vermieden werden.

Hebammen für Flüchtlinge: Wenn Sie sich etwas von Politik und/oder Öffentlichkeit wünschen könnten, was wäre das?

Maria Zemp: Aktuell wünsche ich mir von der Politik, dass sie Afghanistan nicht weiter als sicheres Herkunftsland einstuft. Das ist menschenverachtend und zynisch. Ich setze in Deutschland auf eine offene Gesellschaft, in der Menschen aus anderen Ländern ankommen können und hier auf neugierige Menschen treffen, die sie darin unterstützen, möglichst bald aktiv an der weiteren Gestaltung des Zusammenlebens mitwirken zu können.

Melden Sie sich an: Mehr zur Fortbildung „Umgang mit geflüchteten Frauen“ erfahren Sie im Fortbildungskalender des Landesverbandes der Hebammen in NRW

Hier finden Sie das Interview im pdf-Format